Von der Ruine zum Reiseziel

Sie kommt aus Halle, er ursprünglich aus dem Rheinland: Michael Schomer und Katrin Beikirch haben sich vor 13 Jahren kennengelernt und kurzum beschlossen, eine gemeinsame Bleibe „mit Seele“ zu suchen. Im Internet wurden sie bald fündig. Dort war der historische Land-Bahnhof Droyßig zum Verkauf ausgeschrieben – eine Ruine. Nicht mal einen Schlüssel gab es bei der Erstbesichtigung, nur ein Brecheisen konnte ihnen Zugang verschaffen. 

Aber als sie in diesem heruntergekommenen, historischen Gebäude voller Trümmer standen, war da dieses seltsame, gute Gefühl. Allerdings konnten sie sich mit dem Verkäufer auf keinen angemessenen Preis einigen. Etwa ein Jahr später fanden sie online per Zufall heraus, dass der Bahnhof versteigert werden soll. Also ging das Ehepaar Schomer einfach zur Auktion „um mal zu schauen”. Schließlich wussten sie gar nicht, wie so eine Versteigerung überhaupt funktioniert. 

Rückenansicht des Bahnhof Droyßig

Dann ging alles ganz schnell.

„Wir haben einfach die Hand gehoben und tschak!“, erzählt uns Michael strahlend. Freunde und Familienmitglieder haben ihre Hände über den Kopf zusammengeschlagen, als Michael und Katrin von ihrem Vorhaben erzählt haben. „Aber das war uns herzlichst egal! Wir wollten einfach raus aus der Stadt und aufs Land“, lacht Frau Beikirch. 

Einen genauen Plan für das, was folgen sollte, hatten die beiden nicht. Aber mit dem neuen Zuhause haben sie, wie sie schnell merkten, auch eine neue Gemeinschaft gewonnen. Der örtliche Zusammenhalt ist nämlich groß in der ursprünglichen und naturnahen Region. Hier hilft jeder jedem – ein kollektives Miteinander mit gemeinschaftlicher Unterstützung sozusagen. Und so haben die Droyßiger die zwei Städter sofort aufgenommen und ihnen auch gleich geholfen. „Für die Baggerarbeiten gab es einfach keine Rechnung. Das sei Starthilfe, haben sie gemeint!“, dankbar, begeistert und noch immer etwas ungläubig klingt Michael, als er das erzählt. 

Da die beiden zwar zwei Katzen, aber keine Kinder haben, fiel schnell auf, dass das Grundstück für zwei einfach viel zu groß war. Untermieter wollten sie keine. Also überlegten sie sich, Ferienwohnungen auszubauen. Allerdings sind diese doch recht teuer und was, wenn keine Gäste kommen? Doch dann stießen sie auf die Leader-Förderung der EU zur Entwicklung und wirtschaftlichen Förderung ländlichen Raums durch innovative Konzepte. Und für ihre Idee, mit Bahnwohnungen den alten Bahnhof-Charme bestmöglich zu wahren, erhielten sie diese auch prompt.

Dem Ehepaar Schomer lag aber nicht nur die Historie des Bahnhofs am Herzen, sondern auch die von Droyßig und den Städten rundherum. So finden sich in allen Räumlichkeiten des Bahnhofs geschichtliche Elemente des Hauses, des Ortes und der Region.

Einladender renovierter FeWo-Betrieb Bahnhof Droyßig mit hübschem Garten

Von den ersten Gästen zum Gästeliebling

Nach ihrem Ausbau versuchten es erstmals mit Airbnb. Und siehe da, nach drei Tagen kam die erste Buchung. Der damalige Domchorleiter aus Utrecht war der erste Gast im Bahnhofs-Denkmal. Doch mit ihm kam der erste Rückschlag: Das Bett brach unter dem Gast zusammen. Kurz kamen Zweifel an ihrem Vorhaben auf, rückblickend war das aber auch der Startschuss, erzählt Katrin, die heute den Bahnhof mit den zwei Ferienwohnungen und dem großen Garten managt. Ihr Mann hilft nebenbei auf dem Gelände, hauptberuflich ist er selbstständig als Technikhändler. Bei Bedarf haben sie zwei Reinigungskräfte, die ihnen unter die Arme greifen. 

Und was für ein Startschuss: Mittlerweile haben sie eine jährliche Auslastung von 85 Prozent und bereits Gäste aus über 30 Nationen beherbergt. Schließlich ist Droyßig strategisch ideal für Städtereisen gelegen: Erfurt, Jena, Leipzig, Weimar, Dresden – alles in der Nähe. Sogar ein Herr vom chinesischen Tourismusverband hat bei ihnen genächtigt, erzählen sie stolz. „Alles in allem erleben wir mit unserem Betrieb nur Positives – natürlich sind auch immer Herausforderungen dabei, aber glücklicherweise überwiegen die guten Seiten weitaus!“, erzählt Katrin und fügt hinzu, dass sie mit ihren Ferienwohnungen viele Stammgäste und sogar Freundschaften gewinnen konnten.  

Und der Betrieb selbst wurde bereits zum dritten Mal mit dem Award „Gästeliebling“ ausgezeichnet.  

Die Bahnhofsuhr durfte natürlich auch bleiben.

Wie mit Herzblut und Begeisterung ein ganzer Ort inspiriert wurde

Doch nicht nur der historische Bahnhof hat (wieder) Fahrt aufgenommen. Der gesamte Ort profitiert von ihrer Vorreiterrolle. Zwischenzeitlich gibt es 20 Übernachtungsmöglichkeiten in Droyßig und auch wesentlich mehr Gäste-Attraktionen. So wie der Bärentatzenweg etwa, dessen Errichtung auch Herr Schomer und Frau Beikirch mit ihrem Audioguide ins Rollen gebracht haben.  

Denn während ihrer touristischen Anfangsjahre beschlossen die beiden, dass sie die Region selbst kennenlernen mussten. Wie sonst sollten sie ihren Gästen etwas über die Geschichte des Dorfes erzählen? Und da sie – wie soll es anders sein im geschichtsträchtigen Saale-Unstrut – auf eine wirklich reiche Historie trafen, schrieben sie kurzerhand selbst einen Audioguide mit 12 Haltepunkten für Droyßig und ließen diesen auch gleich in mehrere Sprachen übersetzen.  

Unterstützung erhalten Michael und Katrin vorwiegend vom regionalen Tourismusverband. „Freunde, die in anderen Regionen auch Ferienwohnungen betreiben, sind ganz neidisch auf das Engagement unseres tollen Tourismusverbands“, erzählt uns Michael. Allerdings gibt es noch viel zu tun in der Region, fügt er hinzu. Der Gastronomiebedarf beispielsweise sei riesig, aber auch andere Gästeattraktionen fehlen. 

Sie würden sich wünschen, dass mehr (Groß-)Städter in die Region ziehen und sich verwirklichen. Vor allem Menschen, deren Herz so wie ihr eigenes für sanften Tourismus schlägt und die für die Region mit anpacken wollen – sei es als Gründer eines Betriebes oder einfach als junge Familie, die ein besonderes Zuhause zur Miete oder zum Kauf sucht. 

Denn durch die Vernetzung von Gleichgesinnten kann großer Fortschritt entstehen. Und ein dichteres Netz für die Gäste. „Von kleinen Attraktionen oder Einkehrmöglichkeiten wie ein Café am Radweg bis zum Handwerksladen oder ein Sandwich-Wagen hat hier noch so viel Platz. Die Möglichkeiten sind endlos und das Potenzial riesig.“  

Steckbrief

Name: Michael Schomer und Katrin Beikirch 

Job: Führen zusammen seit 13 Jahren den FeWo-Betrieb Bahnhof Droyßig

Zitat: „Wenn es keinen Schlüssel gibt, muss man sich halt eben mal ein Brecheisen zu Hilfe nehmen, um Türen zu öffnen.“